„Wirtschaftsflüchtlinge“ und die Rolle des Fairen Handels

„Wirtschaftsflüchtlinge“ und die Rolle des Fairen Handels

Foto: Filzkrippe der seit 1984 bestehenden nepalesischen Fairhandelsorganisation ACP.

Wir haben sie deshalb ausgewählt, weil sie Schutz, Geborgenheit und Frieden symbolisiert – das, was viele Menschen suchen, die zu uns kommen.

 

Es wird viel diskutiert in diesen Zeiten, wie man die Anzahl der Flüchtlinge begrenzen kann. Besonders populär ist das Argument, man müsse endlich die „richtigen“ von den falschen, den Wirtschaftsflüchtlingen, unterscheiden. Manche Politiker sagen sogar, es sei wichtig, die Strukturen in den Herkunftsländern zu verändern -was immer das dann auch bedeuten soll.

Schon seit geraumer Zeit werden – gerade auch von kirchlicher Seite- Stimmen lauter, die fragen, ob wir den Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ nicht auch anders sehen müssen. Nämlich so , dass Menschen vor den Auswirkungen unserer, der europäischen Wirtschaft, aus ihren Ländern flüchten müssen.

Denn es sei oft „eine von Eigeninteressen geleitete Politik der reichen Länder, die zu krasser Ungleichheit, zu sozialen Spannungen und gewalttätigen Konflikten führt und Menschen zur Migration zwingt“( Pater Wolfgang Schonecke, Leiter des Berliner Büros des „Netzwerk Afrika Deutschland“ in seinem Appell zur Bekämpfung der Fluchtursachen)

Beispiel Afrika

Am Beispiel Afrikas lässt sich zeigen, dass es gerade auch die Handels-und  Wirtschaftspolitik der EU ist, die eine  Unterscheidung zwischen Kriegs-und Wirtschaftsflüchtling gelegentlich in Frage stellt:

Hier einige Beispiele:

  • „Strukturanpassungsprogramme“ zwingen afrikanische Länder schon seit den 80 iger Jahren z.B.,  ihre Landwirtschaft auf Export umzustellen und Privatisierungen voranzutreiben, um ihre Auslandschulden zu verringern
  • Agrarüberschüsse der Europäischen Union, wie Milchpulver, Tomaten oder Geflügel, verdrängen heimische Produkte in Afrika, weil kein afrikanischer Kleinbauer mit der produktiven europäischen Landwirtschaft mithalten kann
  • Für den zunehmenden Konsum  plündern westliche Industriestaaten die reichen Ressourcen Afrikas (z.B. Bauxit in Guinea, Erdöl in Nigeria, Uran in Niger, Koltan im Kongo, Gold in Mali, Fische vor westafrikanischen Staaten), ohne die Menschen dafür angemessen zu entschädigen
  • Umgekehrt landen ausgediente Altgeräte westlicher Industriestaaten auf Müllkippen in Ghana, wo sie von Kindern und Jugendlichen mit bloßen Händen auseinander genommen werden
  • Staaten, Konzerne und Finanzinstitute kaufen oder pachten seit der Finanzkrise in großem Stil Ackerland, produzieren darauf Rohstoffe und vertreiben die einheimischen Kleinbauern gewaltsam
  • Korruption in Afrika trägt, wie es der frühere Bundespräsident Horst Köhler ausdrückte, leider „auch das Gesicht westlicher Konzernvertreter und europäischer Bankkonten, wo die Milliarden afrikanischer Despoten und steuervermeidender Konzerne gebunkert sind“.
  • Klimawandel, der in erster Linie durch den Lebensstil der Industrieländer verursacht wird, zwingt afrikanische Kleinbauern,  ihr verdorrtes Land aufzugeben und wegzuziehen.

Von TTIP und EPA´s

Und nicht nur das: Im Windschatten des viel diskutierten TTIP verhandelte die EU bis 2014 zehn Jahre lang drei getrennte Freihandelsabkommen (EPA´s) mit drei afrikanischen Wirtschaftszonen (West-, Ost-, Südafrika). Folge des Abkommens, gegen das sich die afrikanischen Staaten bis zum Schluss wehrten: Sie müssen im Schnitt 80 Prozent ihrer Märkte für zollfreie europäische Importe öffnen, um im Gegenzug zollfreien Zugang für einige landwirtschaftliche Rohstoffe zu behalten.

Der Afrika-Beauftragte der CDU, Günther Nooke kommentierte dies mit der Bemerkung, man mache mit der Wirtschaftspolitik in Afrika das kaputt, was die steuerfinanzierte Entwicklungspolitik mühsam aufgebaut habe.

Ungewöhnlich deutlich kritisierte auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller das Verhalten der Industriestaaten gegenüber Afrika.

„Unser Wohlstand in Europa, in Deutschland begründet sich zu einem erheblichen Teil auf den wertvollen Ressourcen und der Ausbeutung dieser Ressourcen in afrikanischen Ländern.“ Und für diese Ressourcen bezahlten wir keine ordentlichen Preise, so Müller. Das sei schäbig, denn die Menschen könnten davon nicht leben. 20 Prozent der Weltbevölkerung in den Industriestaaten verbrauchten 80 Prozent der globalen Ressourcen. Der Großteil davon stamme aus Entwicklungsländern, im Falle der EU aus Afrika. Es werde keine Entwicklung in den afrikanischen Ländern geben ohne dass Europa auch faire Preise dafür zahle, so Müller. Entwicklungsländer brauchten faire Handelsbeziehungen, nicht freie Märkte. Müller sagte wörtlich: „Freier Markt heißt das Recht des Stärkeren. Haben wir als Europäer und Deutsche das Recht, afrikanische Staaten auszubeuten?“(tagesschau.de, 11.9.2015)

Was kann Fairer Handel leisten und was nicht ?

Ziel des Fairen Handels ist, die Lebens-und Arbeitsbedingungen der Menschen zu verbessern, damit sie in ihrer Heimat in Asien, Südamerika und Afrika ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Mittel dazu sind die Schaffung von Absatzmöglichkeiten z.B. für den europäischen Markt, der Aufbau eines Zertifizierungssystems, langfristige Handelsbeziehungen, Vorfinanzierung auf Wunsch, die Zahlung von fairen Preisen und die Stärkung der Produzentenorganisationen durch die Fairtrade-Prämie. Diese ermöglicht z.B. gemeinschaftliche Investitionen in die Bildung von Kindern, die Stärkung von Frauen , in den Ausbau der Infrastruktur (z.B. Anschaffung von Maschinen, Ausbau von Straßen), in Klimaschutzmaßnahmen oder in ökologischen Landbau.  Dies alles vergrößert die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen ihre Region, in der sie leben, positiv verändern können und – zumindest aus wirtschaftlichen Gründen – nicht gezwungen sind, in Städte abzuwandern oder eine beschwerliche Flucht nach Europa anzutreten.

Die Akteure des Fairen Handels haben es mit viel Engagement in den letzten 40 Jahren geschafft, immer mehr Verbraucher für diese Zusammenhänge zu sensibilisieren und sie davon zu überzeugen, dass faire Produkte zwar nicht preiswert, aber den Preis wert sind, den sie dafür bezahlen.

Nur täuschen diese Umsätze (beim Kaffee sind in Deutschland  lediglich 3 % fair gehandelt, bei Kakao knapp 1 Prozent) auch darüber hinweg, dass wir uns hier eher in einer kleinen Nische bewegen. Das Gros der global produzierten Waren entsteht unter einem harten Preisdiktat der Handelsketten, das quer durch die Lieferkette bis  zum Kaffeebauern weiter gereicht wird und ihn und seine Familie zwingt, zu Hungerlöhnen zu arbeiten.

Unfair daran ist, dass Handelsketten die Kollateralschäden ihrer Billigstrategie eben nicht einpreisen müssen, sondern andere dafür bezahlen lassen – in Form von Enteignungen, Arbeitsplatzverlusten, Armut, Kinderarbeit und Umweltschäden. Müssten sie das tun, was Fairer Handel auf freiwilliger Basis leistet, würde sich -salopp gesagt – „Lidl nicht mehr lohnen“.

Unternehmen in die Pflicht nehmen

Solange es  allein dem Verbraucher überlassen wird, „Politik mit dem Einkaufskorb“ zu machen, wird sich daran nur wenig ändern. Denn gerade für deutsche Verbraucher ist der Preis eines der wichtigsten Kriterien für den Einkauf – das zeigt der hohe Anteil der Discounter. Wenn Unternehmen es nicht freiwillig tun, muss die deutsche Politik endlich das umsetzen, was kirchliche Hilfswerke, Gewerkschaften, Nord-Süd-Foren und Menschenrechtsorganisationen schon lange fordern: Eine gesetzliche Regelung, die festschreibt, dass Unternehmen für Menschenrechtsverstöße -auch für die ihrer Tochterfirmen im Ausland – haftbar gemacht werden können. Unter der Federführung des Auswärtigen Amtes entsteht aktuell dazu der „Deutscher Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte“. Bis  dieser Plan mit all seinen Konsequenzen wirklich in die Tat umgesetzt ist und Wirkungen zeigt, wird allerdings noch viel Wasser die Glonn runter laufen.

Wir machen weiter: Fairer Handel und Helferkreis Asyl

Wir werden also weiter machen müssen mit unserer ehrenamtlichen Arbeit für mehr Fairness im Handel. Für uns heißt dies: faire Produkte einkaufen, den Laden organisieren, informieren, bewerben, uns selbst fortbilden, Bewußtseinsarbeit machen – auch über unfaire Handelspraktiken. Dass wir in Petershausen ganz ordentlich da stehen, zeigt das letzte Monitoring, das wir als Weltladen durchlaufen haben. Es ergab, dass wir mit 5,86 Euro einen deutlich größereren Umsatz pro Einwohner haben als vergleichbare andere Weltläden in Deutschland. Und seit dem 3. Oktober ist Petershausen die 364. deutsche Fairtrade-Town. Großes Lob also an Gemeinde, Vereine, Geschäfte, Kirchen, Aktive Schule, Waldkindergarten und an alle Petershausener, die dazu  beigetragen haben !!

Weiter machen müssen wird wohl auch der seit nunmehr einem Jahr in Petershausen existierende Helferkreis Asyl https://helferkreispetershausen.wordpress.com/ . Mit seinen aktuell acht Arbeitsgruppen arbeiten ca 120 Bürger mit sehr viel Beharrlichkeit und Engagement daran, Asylbewerbern nach ihrer Ankunft in Petershausen ein würdiges Leben am Ort zu ermöglichen.

Unabhängig davon, ob es richtige oder falsche Flüchtlinge sind.

Infos: 

– Wolfgang Schonecke: „Die strukturellen Fluchtursachen bekämpfen“, Misereor Blog, August 2015

– Cornelia Füllkrug-Weitzel: „Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge“, Brot für die Welt, August 2015

– „Afrika-die Plünderung eines Kontinents“, Fabian Scheidler im Interwiew mit Wangui Mbatia von People´s    Parliament, Kenia und mit Nnimmo Bassey, Vorsitzender von Friends of the Earth International, Nigeria, Träger des Alternativen Nobelpreises

–   Prof. Dr. Horst Köhler: „Von der Unmöglichkeit, über Afrika zu sprechen“, Rede bei den Afrika-Tagen des Bundesministeriums  für Bildung und Forschung, März 2014

–  Jean Ziegler, Ändere die Welt, Bertelsmann 2015