EM 2016: Fair play – auch schon vor dem Anpfiff

EM 2016: Fair play – auch schon vor dem Anpfiff

Nein, an dieser Stelle kommen keine Bemerkungen zu teuren Spielereinkäufen, zu Schmiergeldzahlungen an FIFA-Funktionäre oder darüber, ob es fair war, Max Kruse vom VFB Wolfsburg von der EM auszuschließen.  Hier wollen wir uns ausschließlich mit dem Fußball an sich beschäftigen.

EM- und WM- Bälle sind Hightech-Produkte mit netten Namen

Das einzige, was einen WM- oder EM-Ball von heute noch mit einem Ball von vor drei Jahrzehnten verbindet: Er ist  rund und muss z.B. – was Durchmesser, Gewicht oder Rücksprunghöhe aus zwei Metern Fallhöhe betrifft- speziellen FIFA-Normen genügen.

Vieles andere hat sich seitdem verändert. Bis zur WM 1978 in Argentinien rollte immer noch das Leder über den Platz, bei der WM 1982 wurde das Leder beschichtet und danach gab es nur noch Bälle aus handgenähtem Kunstleder. 2002 kamen zum letzten Mal ausschließlich handgenähte Bälle zum Einsatz.

Der Ball für die  WM 2006 („Teamgeist“) in Deutschland wurde in Thailand von einem japanischen Unternehmen nach drei Jahren Forschungsarbeit produziert.

Der Ball für die WM 2014 in Brasilien („Brazuca“), hergestellt in einer Fabrik in der südchinesischen Stadt Shenzhen, ist ein Meisterstück der Ingenieurskunst: Die für Elastizität sorgende Blase besteht nicht mehr aus Naturlatex, sondern aus Gummibutyl und ist mit einer Karkasse aus Polyester verstärkt. Das von Bayer entwickelte Polyurethan, macht den Ball leicht, absolut robust und wasserfest. Die Oberfläche aus bei 100 Grad zusammenengeklebten identischen Panelen verbessert die Flugeigenschaften und die Präzision und ist ohne einen einzigen Nadelstich hergestellt. Die Regentauglichkeit wurde im Schleudergang einer Waschmaschine getestet. Die Spieltauglichkeit (für alle Positionen auf dem Platz) über einen Zeitraum von zwei Jahren von 600 Spitzenspielern aus der ganzen Welt, bei unterschiedlichen Wetter-und Höhenbedingungen.

Der Ball für die EM 2016 „Beau Jeu“ gleicht dem Brazuca im Aufbau, ist aber nach 18 Monaten Entwicklungszeit in Sachen Flugstabilität und Griffigkeit noch besser als sein Vorgänger – sagt Adidas. Er hat sechs propellerförmige Panele mit noch besseren Noppen und wurde ebenfalls nahezu rein maschinell in China hergestellt. Soviel Ingenieurskunst ist dann zum Preis von fast 140 Euro zu haben (die Replica-Version des Balls ist allerdings wesentlich günstiger).

EM-Ball Beau jeu, Foto: Wikipedia

Konstant geblieben wie die Rundung vom Ball ist auch die Tatsache, dass alle EM- Bälle seit 1984 und die WM- Bälle seit 1970 vom deutschen Sportartikelhersteller Adidas gestellt werden.

Hergestellt werden sie aber nicht in Deutschland, sondern woanders.

Bälle werden in Ländern hergestellt, in denen die Lohnkosten niedrig sind

Während sich in den letzten Jahren China und Thailand auf (auch billige) maschinell genähte und geklebte Bälle spezialisiert haben, ist für gute handgenähte Bälle Pakistan wichtigstes Herstellungsland. Die meisten davon stammen aus der Stadt Sialkot, im Nordosten Pakistans, an der Grenze zu Indien.

Bis vor einigen Jahren nähten zehntausende pakistanische Ballnäher rund 40 Millionen Bälle pro Jahr.

Da die Löhne in Pakistan oft weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegen und die Bälle nach Stück bezahlt werden, waren und sind viele pakistanische Familien auf die Mitarbeit ihrer Kinder angewiesen.

Bilder von Fußball nähenden Kindern waren schlecht für`s Image

Bilder von Kindern, die Fußbälle nähten, erregten in den 90 ziger Jahren weltweit Aufsehen.

Fußball nähende Kinder, Foto: Südwind

 

Anhaltende Diskussionen und der öffentliche Druck auf die Markenartikelhersteller wie Nike, Adidas oder Puma führte 1997 zum „Atlanta Agreement“.

Diese Vereinbarung zwischen Sportartikelherstellern, der Handelskammer von Sialkot, der Internationalen Arbeitsorganisation und dem Kinderhilfswerk Unicef sah ein Verbot der Kinderarbeit in der Fußballproduktion vor.

Seitdem ist das Nähen der Bälle in Heimarbeit verboten und aus den Dörfern in große Nähzentren verlegt, die besser überprüft werden können.

Trotzdem herrschen nach Angaben von Robert Weber von BAD BOYZ „in großen Teilen der Sportballindustrie in Pakistan in vielen Produktionsstätten noch „mittelalterliche“ Arbeitsort/-platzbedingungen (z.B. keine WC-Anlagen, witterungsungeschützte Freiluftarbeitsplätze, überfüllte Räumlichkeiten usw.“ (Dokumentation des Zehnten Runden Tischs Bayern zu Sozial-und Umweltstandards bei Unternehmen, S.81)

Kinder arbeiten offiziell nicht mehr in Nähzentren- aber  woanders

Und was die Kinderarbeit angeht: Kinderarbeit ist nicht abgeschafft dadurch, dass Kinder aus Fabriken ausgeschlossen werden. Denn die Familien müssen ja irgendwie überleben. Kinder, die nicht mehr Fußbälle nähen dürfen, arbeiten nun einfach woanders, z.B. in Ziegeleien oder in der Metallverarbeitung.

Dazu kommt: Fußbälle lassen sich auch in anderen Ländern herstellen, z.B. in Indien, wo niemand so genau hinschaut, wenn kleine Mädchen Fußbälle nähen.

Problem in Pakistan, Indien und anderen Ländern sind nach wie vor die zu geringen Löhne, die die Erwachsenen in Ballfabriken oder Nähzentren bekommen. Diese liegen oft weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn, der aber in Entwicklungsländern mehr oder weniger willkürlich festgelegt wird und zudem nicht existenzsichernd ist.

 

Hier setzt der Faire Handel an

Die Fairtrade-Standards

Frauennähzentrum in Pakistan (Foto: Fairtrade Deutschland)

NäherInnen, die in Stücklohn bezahlt werden  und FabrikarbeiteInnen müssen mindestens den gesetzlichen Mindestlohn erhalten, der aber nach und nach erhöht werden muss.

Es gibt geregelte Arbeitszeiten (maximal 48 Stunden) und verbesserten Gesundheitsschutz (in Fabriken, in denen das Kunstleder geklebt, gestanzt und gefärbt wird, z.B. Schutzmasken und Ohrenschützer).

Demokratische Organisation und Mitbestimmung der Arbeiter sind vorgeschrieben.

Arbeitgeber müssen die Arbeitsbedingungen in Fabriken und Nähzentren auf die besonderen Bedürfnisse von Frauen anpassen.

Illegale Kinderarbeit und Zwangsarbeit sind verboten.

Zusätzlich zum Mindestlohn erhalten die Arbeiter eine Fairtrade-Prämie von 15 % zusätzlich  für Gemeinschaftsprojekte, z.B.Trinkwasseraufbereitungsanlagen, vergünstigte Lebensmittel, Kinderbetreuung bei den Nähzentren, Schulsachen für die Kinder,  kostenlosen Transport zur Arbeit oder Kauf von Fahrrädern. Ein unabhängiges Gremium aus gewählten Arbeiterinnen und Arbeitern entscheidet demokratisch über die Verwendung der Gelder.

Diese Standards werden von unabhängigen Inspektoren der FLO Cert GmbH auf ihre Einhaltung kontrolliert.

 

Faire Bälle von Gepa, EZA und BAD BOYZ BALLFABRIK

So heißen die Händler, von denen unsere fair gehandelten Bälle stammen. Sie lassen ihre Bälle nur in Pakistan und nur in zertifizierten Nähzentren anfertigen. Diese und die Ballhändler selbst werden regelmäßig von unabhängigen Inspektoren der FLO Cert GmbH kontrolliert.

Die Gepa lässt schon seit 1998 Bälle bei Talon Sports nähen. Talon Sports gehörte den ersten Ballfabriken, die zeigten, dass eine faire Ballproduktion möglich ist. Die Firma richtete als erste Frauen-Nähzentren ein, da im muslimisch geprägten Pakistan Männer und Frauen nicht zusammen arbeiten dürfen.

Für faire Bälle bekommen die Näherinnen und Näher bei Talon Sports je nach Qualität zwischen 20 und  50 Prozent höhere Stücklöhne.
http://www.gepa.de/service/produzenten-weltweit/produzent/Produzenten/show/talon-sports.html

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Foto: Freizeit-Kinderbälle „Rainbow“ und „Löwe“ von Gepa

 

EZA, eine österreichische Fairhandelsorganisation, lässt die „Welt-Bälle“ bei Vision Technologies anfertigen: http://www.eza.cc/vision-technologies

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Foto: „Weltball“ von EZA

 

BAD BOYZ Ballfabrik http://www.badboyzballfabrik.com/ in Nürnberg liefert seit 2013 fair gehandelte Fußbälle, Volleybälle und Handbälle für Freizeit, Training und Turniere.

Bad Boyz lässt bei mehreren fairtrade zertifizierten Firmen in Pakistan produzieren: Leatherware, Bola Gema, Vision und Tramondi http://www.tramondi.com/sportbaelle

Zu den Referenzen zählen z.B. die Städte München, Landshut, Aschaffenburg, Neumarkt, Dortmund und zu den Organisationen das Kath. Hilfswerk Missio oder das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

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Foto: Trainingsbälle von BAD BOYZ

 

Der Marktanteil fairtrade zertifizierter Bälle liegt weltweit derzeit bei deutlich unter 1 Prozent  

Eine Möglichkeit, den Anteil fairer Bälle zu steigern, liegt in der Hand von Kommunen, Schulen und Sportvereinen.  Etliche Gemeinden, die den Titel Fairtrade-Gemeinde tragen,  machen von der Möglichkeit Gebrauch, ihre Schulen mit zertifizierten Bällen auszustatten. Manche lassen die Bälle bedrucken mit dem Slogan „Bayern spielt fair“ oder mit dem Namen ihrer Kommune und einem Slogan, wie z.B. „Ainring spielt fair“.

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Foto: Fair gehandelter Ball  von BAD BOYZ mit dem Aufdruck „Ainring spielt fair“

Ein bundesweites Vorbild lieferte die Stadt München, die gerade wieder den Bayerischen Eine Welt Preis 2016 für ihre besonderen Bemühungen im Zusammenhang mit fairer Beschaffung bekommen hat. Um die Akzeptanz für faire Bälle zu steigern und von deren Qualität zu überzeugen, wurden diverse Balltests mit Sportlehren und Schülern durchgeführt und danach 2000 faire Bälle bestellt und an Münchner Schulen verteilt. Seit 1. Januar 2014 regelt ein verbindlicher Rahmenvertrag des Referates für Bildung und Sport den Einkauf neuer Bälle. Seitdem kaufen Münchner Schulen bei genähten Fuß- und Handbällen nur noch Bälle aus dem Fairen Handel ein.

Wenn nur Boatengs Wade hält

Man würde dem Fußballspiel wirklich nicht gerecht, würde man es nur unter dem Aspekt des von Geld triefenden Profifußballs sehen oder der (herablassenden) Beschreibung eines Spiels, bei dem 22 Männer gegen einen Ball treten: Fußball ist vom Spiel her absolut komplex und anspruchsvoll, ist für viele Millionen Menschen die „schönste Nebensache der Welt“,  er verbindet Völker und  integriert in vielen Gemeinden Flüchtlinge.

Vor allem leisten  Fußballabteilungen vielerorts ehrenamtlich eine hervorragende Jugendarbeit (z.B. hier: http://www.sv-petershausen-fussball.de/) und erbringen damit eine wichtige gesellschaftliche Leistung.

Und da das alles so ist, wäre es nur fair, wenn in den vielen Artikeln in Tageszeitungen und bei Diskussionen im Fernsehen über sehr gut verdienende Jungs und ihre Befindlichkeiten (Hält Boatengs Wade oder nicht ? Sie hielt – gottseidank, verhärtete sich aber nach dem Torschuss wieder…) auch mal die Befindlichkeiten der Menschen zum Thema gemacht würden, welche die vielen Millionen Trikots, Schuhe und Bälle für diesen schönen Sport herstellen.

Noch viel schöner wäre es, wenn von den Milliarden, die in diesem Wirtschaftszweig umgesetzt werden, ein bisschen mehr bei ihnen ankommen würde.

Dann könnte der Fußball stehen für eine gelungene Form von Globalisierung, die existenz sichernde Einkommen auch in sogenannten Entwicklungsländern schafft. So wäre er eine echt runde Sache.

Hier ein Video (schon ein paar Jahre alt) über die Produktion eines Fairtrade-Fußballs, das einen guten Einblick in die Thematik gibt: